News Komplikationen nach Operationen bei Wirbelsäulenverkrümmungen: der Ursache auf der Spur

Eine langstreckige Versteifungsoperation kann bei Wirbelsäulenverkrümmungen von Erwachsenen die beste Lösung sein. Doch weshalb treten bei einigen Patienten mechanische Komplikationen nach einer solchen Operation auf? Unser Forschungsteam ist innerhalb der European Spine Study Group und gemeinsam mit der ETH Zürich den Ursachen auf der Spur. Mit dem Ziel, die Behandlungen solcher Patienten weiter zu verbessern und zu personalisieren.

Abnutzungsbedingte Wirbelsäulenverkrümmungen bei Erwachsenen sind häufig und können die Lebensqualität stark einschränken. Die Behandlungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Umso wichtiger ist es, für jeden Patienten die richtige Behandlung zu finden. Solchen Patienten auf wissenschaftlicher Basis zu helfen, hat sich die European Spine Study Group (ESSG), zu der auch die Schulthess Klinik gehört, auf die Fahne geschrieben. 

Hintergrundinformationen zur Studie

Für ältere Menschen, welche an einer ausgeprägten Fehlstellung und Verkrümmung der Wirbelsäule leiden (Adult Spinal Deformity, kurz ASD), bleibt nach konservativer (nicht-operativer) Therapie in ausgewählten Fällen nur eine Operation. Ziel der Operation ist eine Korrektur der Fehlstellung und damit eine chirurgische aufrechte Neuausrichtung der Wirbelsäule, was als Korrektur- und Versteifungsoperation bezeichnet wird. 

Einige der älteren Patienten, die eine solche Operation erhalten, sind von mechanischen Komplikationen betroffen. Das bedeutet, es kann zu einer Implantatlockerung oder einem Implantatbruch im Bereich der Versteifung oder auch Knochenbruch im Bereich der angrenzenden Wirbelkörper oberhalb der versteiften Wirbelsäule kommen. Oft nimmt die Fehlstellung der Wirbelsäule dadurch wieder zu und Folgeeingriffe sind erforderlich. 

Ziel der Studie

Ziel dieser Studie war es, mechanische Belastungen innerhalb der Wirbelsäule selbst vor und nach langstreckiger Korrektur- und Versteifungsoperation bei schwerwiegender Fehlstellung der Wirbelsäule zu berechnen. Hierfür betrachteten wir gemeinsam mit dem Laboratory for Orthopaedic Technology der ETH Zürich Kompressions- und Scherkräfte und untersuchten deren Einfluss auf die Entwicklung einer mechanischen Komplikation.

In vorausgegangenen Arbeiten der European Spine Study Group (ESSG) mit der Schulthess Klinik konnten wir das Ausmass der Neuausrichtung der Wirbelsäule (Korrektur der Fehlstellung) als eines der wichtigsten Ziele der chirurgischen Behandlung herausarbeiten. Eine verbleibende Fehlstellung der Wirbelsäule stellt dabei unter anderem einen Risikofaktor dar, eine mechanische Komplikation nach einer solchen Operation zu entwickeln. Das heisst vereinfacht: je aufrechter die Korrektur, desto geringer ein solches Risiko. Die veränderten Belastungen der angrenzenden Wirbelkörper oberhalb der versteiften Wirbelsäule könnten diese Beobachtungen erklären. Ein guter Grund, diesen mechanischen Belastungen genauer auf den Grund zu gehen.

Pionierarbeit bei der Vermessung von Wirbelsäulenbelastungen

In dieser Studie konnten zum ersten Mal die Wirbelsäulenbelastungen für echte patientenspezifische Ausrichtungsprofile der Wirbelsäule vor und nach der Operation in einer grossen Gruppe von Patienten mit ausgeprägter Fehlstellung und Verkrümmung der Wirbelsäule simuliert gezeigt werden. 222 Patienten waren in dieser Studie eingeschlossen. Dabei vermassen wir Röntgenbilder der gesamten Wirbelsäule (Abbildung 1). Diese Informationen analysierten wir mit Hilfe eines Computerprogramms (Anybody Modeling and Simulation Software) (Abbildung 2). Die Kompressions- und Scherkräfte der angrenzenden Wirbelkörper oberhalb der versteiften Wirbelsäule berechneten wir sodann anhand von Computersimulationen. 

Röntgenbilder und Computersimulationen Belastungen der Wirbelsäule
Links: gemessenes Röntgenbild vor und nach der Operation
Rechts: Analyse im Computerprogram (Anybody Modeling and Simulation Software) vor versus nach der Operation

Ein weiteres Puzzlestück im Rahmen unserer Ursachensuche

Die Studie zeigt, dass eine verbleibende Fehlstellung der Wirbelsäule mit höheren mechanischen Belastungen im Bereich der angrenzenden Wirbelkörper oberhalb der versteiften Wirbelsäule einhergeht. Ob diese grösseren mechanischen Belastungen bei verbleibender Fehlstellung der Wirbelsäule die Hauptursache für mechanische Komplikationen sind, bleibt vorerst nicht vollständig beantwortet, wird aber bereits mit weiteren Studien untersucht.

Referenz

Association between sagittal alignment and loads at the adjacent segment in the fused spine: a combined clinical and musculoskeletal modeling study of 205 patients with adult spinal deformity.

Ignasiak D, Behm P, Mannion AF, Galbusera F, Kleinstück F, Fekete TF, Haschtmann D, Jeszenszky D, Zimmermann L, Richner-Wunderlin S, Vila-Casademunt A, Pellisé F, Obeid I, Pizones J, Sánchez Pérez-Grueso FJ, Karaman MI, Alanay A, Yilgor Ç, Ferguson SJ, Loibl M; ESSG European Spine Study Group. Eur Spine J. 2022 Dec 17. doi: 10.1007/s00586-022-07477-4. Online ahead of print.PMID: 36526952

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit der Schulthess Klinik, der European Spine Study Group (ESSG) und der ETH Zürich 

Ziel sämtlicher Studien im Rahmen der European Spine Study Group ist, die Behandlung von Patienten mit Wirbelsäulenverkrümmungen im Erwachsenenalter zu verbessern, indem die individuell besten Möglichkeiten wissenschaftlich basiert gewählt werden können. Dabei soll jeweils ein möglichst gutes Resultat mit niedrigem Komplikationsrisiko erzielt werden. Seit 2012 ist die Schulthess Klinik neben Zentren in Barcelona, Madrid, Istanbul und Bordeaux Mitglied. Gemeinsam mit der parallelen amerikanischen Forschungsgruppe ISSG pflegen wir die weltweit führende prospektive Datenbank zur Behandlung solcher Patienten. Unser Engagement im Rahmen der ESSG Study Group wird teilweise durch den Forschungsfonds der Wilhelm Schulthess-Stiftung finanziert.

Erfahren Sie mehr über unser Engagement in der European Spine Study Group und wie auch Sie sich für die Zukunft der Medizin engagieren können: 

Mit der ETH Zürich pflegen wir seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit, sei es bei praktischen Kursen für den medizinischen Nachwuchs, bei verschiedenen Vorlesungen für Studierende oder bei gemeinsamen Forschungsprojekten mit verschiedener unserer Fachabteilungen.

Das in diese Studie involvierte Laboratory for Orthopaedic Technology befasst sich insbesondere mit der Entwicklung von Technologien, die einen Einblick in die Biomechanik von Gelenken und Geweben sowie in Bewegungs- und Belastungsmuster geben, um Krankheitsprozesse zu verstehen und neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Das Zusammenspannen der Schulthess Klinik mit der European Spine Study Group und der ETH ist also ein wertvolles Zusammenspannen von Know-how, wovon am allermeisten die Patienten profitieren.

Dominika Ignasiak ETH Zürich

Dr. Dominika Ignasiak, PhD

ETH Zürich