Meniskusverletzungen: Heutige Strategie in der Behandlung der Knorpelscheiben
Im Laufe der letzten 30 bis 40 Jahre hat sich in der Strategie der Behandlung von Meniskusverletzungen einiges grundlegend geändert. Nicht zuletzt haben zu diesem Fortschritt Erkenntnisse in der Biomechanik des Kniegelenkes, die Entwicklung der arthroskopischen Chirurgie und die MRI-Diagnostik wesentlich beigetragen.
«War früher der Meniskus als eine Art Blinddarm des Kniegelenkes angesehen, also ein nutzloses Etwas, steht er heute quasi unter Heimatschutz.»
Es ist allgemein bekannt, dass ein Knie ohne Meniskus innert einer Frist von 10 bis 20 Jahren fast unweigerlich einer Arthrose anheimfällt. Dies sogar auch nach einer selektiven minimalinvasiven arthroskopischen Teilmeniskusentfernung (s. Abb. 1a-1d). Diese Tatsache hat zum Umdenken im Management der Meniskusverletzungen und ihrer Behandlung geführt. Eine wichtige Voraussetzung für diesen Trend waren die Errungenschaften in der Operationstechnik (Arthroskopie) und in der Diagnostik (MRI).
Fortschritte in der Diagnostik von Meniskusverletzungen
«War in der Vergangenheit die Diagnostik von Meniskusverletzungen der klinischen Untersuchung sowie der subjektiven Beurteilung und den hellseherischen Fähigkeiten (sprich Erfahrung) eines Chirurgen überlassen, ist heute ein MRI in der Diagnostik von Meniskusverletzungen nicht mehr wegzudenken.»
Natürlich spielen auch heute noch die klinische Untersuchung und die Erhebung der Anamnese in der Diagnostik von Meniskusverletzungen eine sehr wichtige Rolle. Und so soll es auch in der Zukunft bleiben. Vor der MRI-Ära konnte man zwar mit einer Arthrographie (Knieröntgen mit Kontrastmittel) mit etwas Glück eine Meniskusverletzung sichtbar machen. Dennoch fielen viele «unschuldige» Menisken, schon auf Grund der eingangs erwähnten Einstellung, einer offenen Meniskektomie anheim.
Die geniale Erfindung der Magnetresonanztomographie, (MRT, heute als MRI, Magnetic Resonanz Imaging, bezeichnet) durch Peter Mansfield (UK) und Paul C. Lauterbur (USA) 1973, wofür die zwei Wissenschaftler 2003 den Nobelpreis für Medizin erhielten, glich einer Revolution, und zwar nicht nur in der Diagnostik einer Meniskusverletzung.
«Keine Meniskusdiagnose und schon gar keine gezielte Therapie ohne ein MRI»
Die Diagnose einer Meniskusläsion ist rein klinisch nicht immer einfach und die klassischen Meniskuszeichen aus dem Lehrbuch sind nicht immer eindeutig. So gehört heute bei Verdacht auf eine Meniskusläsion eine MRI-Untersuchung dazu. Der vielleicht etwas hohe Preis für das MRI wird durch die dadurch gewonnene Vermeidung unnötiger Operationen egalisiert. Dazu erlaubt das MRI eine weitere differentialdiagnostische Abgrenzung einer Meniskusläsion zum Beispiel zu einem signifikanten Knorpelschaden oder zum «schmerzhaften Knochenmarksödem». Also pathologische Zustände, die auch ganz andere therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen.
MRI oder Röntgen bei Verdacht auf Meniskusverletzung?
Die Antwort heisst: beides. Das MRI hat die Röntgendiagnostik in keiner Weise aus dem Repertoire verdrängt, sondern viel mehr ergänzt. So ist es nicht verwunderlich, dass bei den meisten Patienten nicht nur ein MRI, sondern auch ein Röntgenbild angefertigt werden muss, und zwar meistens zuerst Röntgen und erst dann das MRI. Die Beurteilung der Beinachse (X-Bein, O-Bein) kann nur radiologisch genau erfasst werden und hat ohne Zweifel einen Einfluss auf das Procedere.
Nicht selten wird das Röntgenbild bereits zu einer Diagnose führen. Dann kann man sich das MRI sparen, das dann aber bei einem unauffälligen Röntgenbild umso mehr indiziert ist. Ein «schmerzhaftes Knochenmarksödem» ist zum Beispiel eine solche klassische MRI-Diagnose, die im Röntgenbild auch bei starker Ausprägung unsichtbar bleibt (s. Abb. 1a und 1c).
Nicht jede Meniskusläsion heisst gleich Operationsindikation.
Hat man Meniskusläsionen früher ohne grosse Bedenken operiert, so haben uns die ungünstigen Verläufe nach einer offenen totalen Meniskusentfernung in der Präarthroskopie-Zeit und auch nach Teilmeniskusentfernung in der Arthroskopie-Ära gelehrt, mit der Operationsindikation vorsichtig zu sein (s. Abb. 1c und 1d). Denn nicht nur in der operativen, sondern auch in der konservativen Behandlung der Meniskusläsionen ist man nicht stehen geblieben und hat einen Fortschritt verzeichnet. Schon die Physiotherapie und NSAR können zielführend sein. Wenn nicht, dann haben wir in Form von intraartikulären Viskosupplementationen mit Hyaluronsäurepräparaten und Cortison ein sehr potentes Instrument in der Hand, vor allem die degenerativen aktivierten Meniskusläsionen effizient zu behandeln.
«Meniskusriss ist nicht gleich Meniskusriss.»
Meniskusrisse können sehr vielfältige Formen annehmen. Von dem einfachen Lappenriss bis zum Korbhenkelriss, horizontal, radiär bis zu komplexen degenerativen Meniskusläsionen. Eine besondere Form des Meniskusrisses stellt der Meniskuswurzelausriss dar, der bei jüngeren Patienten (U-50) zusammen mit dem eingeklemmten Korbhenkelriss eine klare Operationsindikation darstellt. Ganz anders sieht es aus bei den degenerativen Meniskusrissformen bei älteren Patienten (Ü-60), bei denen der Versuch, primär eine konservative Therapie einzuleiten, nicht ausser Acht gelassen werden soll (Abb. 2a und 2b).
«Degenerative Meniskusläsion Ü-60 ist ein chirurgisches «Noli me tangere»»
Damit sind wir schon beim Alter der Patienten angekommen. Je jünger, desto mehr besteht die Tendenz zur operativen Behandlung, wobei hier immer, wenn möglich, der Meniskuserhalt oder die Reparatur (Naht) anzustreben ist. Je älter, umso mehr wird man sich bemühen, die Problematik mit der konservativen Behandlung in den Griff zu kriegen (Abb. 3).
Die degenerative Meniskusläsion ist oft Beginn einer arthrotischen Entwicklung, die mit der Meniskusdegeneration beginnt und sich später oder zugleich auf den Knorpel ausdehnt. Es ist nicht unsere Aufgabe, diesen degenerativen Prozess durch eine Meniskusentfernung bzw. Teilentfernung zu beschleunigen. Man muss davon ausgehen, dass fast bei jedem Ü-60-Patienten im MRI asymptomatische Meniskusveränderungen, von einer intramuralen Degeneration bis zur degenerativen Meniskusläsion, vorgefunden werden. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass diese Veränderungen operativ angegangen werden müssen, und käme einem Bärendienst gleich.
Unfall oder Krankheit?
Bei den Versicherungen wird die Meniskusläsion als eine «unfallähnliche Schädigung» eingestuft. So entsteht oft ein Disput, ob es sich bei einer Meniskusläsion um einen Unfall oder um eine krankheitsbedingte Veränderung handelt. Während das Erstere in den Zuständigkeitsbereich der Unfallversicherung fällt, ist für das Zweite die Krankenkasse zuständig. Es ist deswegen von Bedeutung, den Unfallhergang bzw. das Entstehen der ersten Symptome in der Krankengeschichte genau zu erfassen. Ein Unfall wird versicherungstechnisch (SUVA) als «eine plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat», bezeichnet.
Ambulanter oder stationärer Meniskus-Eingriff
«Waren früher die Patienten wegen einer Meniskusresektion mehrere Tage im Spital gelegen und anschliessend vier Wochen an Gehstützen unterwegs, wird heute die Meniskusresektion in den meisten Fällen ambulant durchgeführt und von einer beschleunigten Rehabilitation gefolgt.»
Aufgrund der Verfügung des Eidgenössischen Departementes des Inneren (EDI) vom 1. Januar 2019 werden bzw. müssten praktisch alle arthroskopischen Meniskusoperationen ambulant durchgeführt werden. Eine Ausnahme bildet die Meniskusnaht, die immer noch eines kurzstationären Aufenthaltes bedarf. Zu weiteren Ausnahmen gehören zum Beispiel Arthroskopien bei älteren Personen mit Komorbiditäten, bei denen auf Antrag eine Übernachtung genehmigt wird. Die ambulante Chirurgie ist also auch hier auf dem Vormarsch.
Neue Wertschätzung des Meniskus
«Früher hiess es: Der Meniskus ist ein armer «Siech». Es wird jahrelang auf ihm herumgetrampelt, und wenn er mal kaputt ist, dann wird er entfernt und weggeworfen. Heute heisst es: Der Meniskus ist der König - lang lebe der König.»
Die moderne Meniskuschirurgie gebietet dem Meniskus eine neue Wertschätzung. Nachdem man realisiert hat, wie wichtig ein gut funktionierender Meniskus für das Kniegelenk ist und die Industrie auch entsprechende Instrumente für dessen Erhaltung geschaffen hat, sieht die Situation für den Meniskus besser aus. Man versucht heute alles, um so viel Substanz von Meniskus wie möglich zu erhalten und nur so viel wie nötig zu entfernen (Abb. 4a und 4b). Das faserknorpelige, bradytrophe und minderdurchblutete Gewebe des Meniskus hat nur wenig Selbstheilungspotenzial. Eine Regeneration, wie bei einem anderen Körpergewebe, findet praktisch nicht statt.
Die Meniskustransplantation. Wo sind die Grenzen?
Nicht alles was machbar ist, ist auch sinnvoll. Der Meniskus ist kein lebenswichtiges Organ, doch kann die Arthrose eines Kniegelenkes, welche einer totalen Meniskusentfernung nach gewisser Zeit unweigerlich folgt, die Lebensqualität Betroffenen empfindlich beeinträchtigen.
Das laterale Kompartiment ist besonders anfällig. Bei U-30-Patienten bietet sich, um die Arthrose möglichst zu vermeiden oder auf einen möglichst späten Zeitpunkt zu verschieben, die Möglichkeit einer Meniskustransplantation an. Ein Verfahren, bei dem ein neuer Meniskus in das Knie an der Stelle des fehlenden Meniskus implantiert wird. Lesen Sie dazu auch unser Fallbeispiel. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich um ein sehr seltenes Verfahren handelt, das nur an hochspezialisierten Kliniken durchgeführt werden soll.
Zu unterscheiden ist hierbei zwischen einem Meniskusteilersatz durch ein künstliches Implantat (z.B. Actifit) und einer allogenen (=Organspender) Meniskustransplantation zum kompletten Meniskusersatz. Den Meniskusteilersatz führen wir an der Schulthess Klinik nur sehr selten indiziert durch. Demgegenüber nimmt die Anzahl an kompletten Meniskustransplantationen fortwährend zu. Unsere Chirurgen sehen nach einer kompletten Transplantation sehr gute klinische Ergebnisse. Die Einnahme von Medikamenten ist hiernach nicht notwendig. Mittlerweile sind hier sehr gute und stabile 10-Jahres-Daten publiziert, welche den vielversprechenden Effekt dieser OP-Technik ganz klar untermalen.
Nachfolgend finden Sie einen vereinfachten Behandlungsalgorithmus bei Meniskusverletzungen zum Download:
Autor: Dr. med. Tomas Drobny, Senior Consultant Kniechirurgie und Leiter Golf Medical Center