Ein schwerer Bruch der Halswirbelsäule – Glück im Unglück Ein Fallbeispiel aus der Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Neurochirurgie
Eine aktive Freizeitsportlerin stürzt bei einer Schneeschuhwanderung im Urlaub bei bestem Wetter einen Hang hinunter. Sie wird durch die REGA ins Spital gebracht und dort umfangreich untersucht. Diagnose: Bruch der Halswirbelsäule. Trotz der schwerwiegenden Verletzung entscheidet sie sich zur Heimreise nach Zürich. Erfahren Sie im folgenden Beispiel mehr zur weiteren Diagnostik und notfallmässigen Operation und wie es der Patientin heute geht.
In der Notfallsprechstunde der Wirbelsäulenchirurgie merkt man der Patientin den Schrecken noch an. Vor knapp einer Woche war die 71-jährige Patientin einen mit Schnee bedeckten Hang hinuntergestürzt. Unterwegs vom Wilerhorn zum Brünigpass war sie gemeinsam mit ihrem Ehemann bereits 5 Stunden unterwegs, als es zur Katastrophe kam. Beim Queren eines Steilhanges rutschte sie seitlich aus und stürzte den Hang sich mehrmals überschlagend rund 50 m hinunter, wo sie den Sturz stoppen konnte.
Traumatologische Erstversorgung vor Ort
Nach aufwendiger Bergung ging alles sehr schnell. Ein Helikopter flog sie in das nächstliegende Akutspital. Die routinierte traumatologische Erstversorgung ergab die korrekte Diagnose. In der Computertomographie (CT) zeigte sich ein Bruch der Halswirbelsäule. Ausserdem bestanden eine Gehirnerschütterung und eine Sprunggelenksdistorsion links, eine Schulterkontusion links und Kontusionsmarken am Kinn als Begleitverletzungen.
Man entschied sich für eine Ruhigstellung der Halswirbelsäule mit einem harten Halskragen und des Sprunggelenks mit einer Orthese sowie für eine stationäre Überwachung aufgrund der Gehirnerschütterung.
Die geplante Vorstellung in der Notfallsprechstunde
Zurück in Zürich meldete sich die Patientin direkt in der Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Neurochirurgie. Bei der Sichtung der Anmeldung war der Schweregrad der Verletzung zunächst nicht vollständig ersichtlich. Im Rahmen der Sprechstunde sichteten wir die angefertigten CT-Bilder. Zusätzlich erfolgten Röntgenbilder der Halswirbelsäule im Stehen. Die Schmerzsituation war für die Patientin kompensiert, eigentlich waren die Schmerzen im Bereich des Sprunggelenks trotz applizierter ASO-Schiene schlimmer als im Bereich der Halswirbelsäule.
Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich ein Taubheitsgefühl von Zeigefinger und Ringfinger der rechten Hand. Der Schrecken war gross, als die Röntgenbilder eine ausgeprägte Verschiebung des 6. und 7. Wirbelkörpers zeigten. Es bestand der hochgradige Verdacht auf eine Luxationsfraktur mit Verletzung der Bandscheibe und des Bandapparates.
Vollständiger Riss der Bandscheibe und des dorsalen Bandapparates
Wir entschieden uns zu weiterer Bildgebung und führten eine Magnetresonanztomographie (MRI) der Halswirbelsäule durch, um einerseits die Diagnose zu bestätigen, andererseits um eine Verletzung des Rückenmarks auszuschliessen.
Das MRI brachte schliesslich die letzte Sicherheit. Die Bandscheibe zwischen 6. und 7. Wirbelkörper war vollständig zerrissen, ebenso der dorsale Bandapparat. Dies unterstrich das Ausmass der Instabilität in diesem Bewegungssegment. Durch die ausgeprägte Verschiebung der Halswirbelsäule während des Unfalls war wohl ein Schaden an der Nervenwurzel entstanden, welcher das Taubheitsgefühl der Finger erklärte.
Der nächste Schritt führt in den OP – als Notfall
Rasch realisierte die Patientin die vitale Bedrohung der Verletzung. Die Korrektur der Verschiebung und Stabilisation der Halswirbelsäule waren unumgänglich. Aufgrund der Dringlichkeit konnte bereits am frühen Nachmittag die OP begonnen werden.
In Vollnarkose führten wir als ersten Schritt die Korrektur der Verschiebung unter radiologischer Kontrolle durch. Danach begann die Stabilisation der Halswirbelsäule in zwei Schritten: Zuerst erfolgte ein Zugang am Hals von vorne. Die Patientin lag dabei auf dem Rücken. Die Bandscheibe zwischen 6. und 7. Halswirbelkörper konnte sofort identifiziert werden, da sie zerrissen war. Die Bandscheiben zwischen 5. und 6. und 7. Halswirbelkörper wurden entfernt und das Rückenmark entlastet. Dabei zeigte sich ein traumatischer Einriss der Dura nahe am Abgang der Nervenwurzel C7 rechts. Es kam sogar zu Ausfluss von Liquor. Das Leck wurde aufwendig verschlossen. Abschliessend ersetzten wir die Bandscheiben durch zwei Platzhalter (Cages) gefüllt mit patienteneigenem Knochenmaterial und verschraubten den 5. bis 7. Halswirbelkörper über eine Platte.
Danach musste die Patientin gedreht werden. In Bauchlage erfolgte ein Zugang am Hals von hinten und wir brachten Schrauben im 5. und 7. Halswirbelkörper ein. Die Schrauben wurden mit Hilfe von zwei Stäben verbunden. Die Halswirbelsäule wurde somit von vorne und hinten stabilisiert.
Vorsichtige und langsame Nachbehandlung
Die Nachbehandlung war zum Schutz der Halswirbelsäule vorsichtig und langsam. In den ersten 6 Wochen trug die Patientin einen Halskragen. Aufgrund der schwerwiegenden Verletzung und der Begleitverletzungen absolvierte die Patientin nach dem Aufenthalt bei uns eine stationäre Rehabilitation. Die körperliche Aktivität wurde auf Spaziergänge und leichte physiotherapeutische Übungen beschränkt. Nach 6 Wochen wurde der Halskragen entwöhnt und nach 3 Monaten abgelegt. Danach konnte die körperliche Aktivität gesteigert und die Belastung sukzessive aufgebaut werden.
Lassen wir zum Schluss noch die Patientin zu Wort kommen:
«Ich bin sehr glücklich mit dem guten Ausgang meines Unfalls, wurde ich doch bestens medizinisch versorgt. Heute kann ich mein Leben praktisch ohne Einschränkungen wieder voll geniessen und all meinen früheren Beschäftigungen wieder nachgehen.»
Autor und behandelnder Arzt:
PD Dr. med. Markus Loibl, Leitender Oberarzt Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Neurochirurgie