Hintere Kreuzbandruptur: eine CrossFit-Athletin wird in ihrer Höchstform gebremst. Ein Fallbeispiel aus der Sportphysiotherapie

Eine passionierte Crossfit-Athletin riss sich bei ihren letzten Vorbereitungen für das Viertelfinale der CrossFit-Games das hintere Kreuzband. Eine deutlich seltenere Verletzung als eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Erfahren Sie im folgenden Beispiel, wie die Athletin ohne operativen Eingriff ihren Weg zurück in den Sport fand.

Die Crossfit-Athletin Christine K. (49) befand sich Mitte April 2022 in den letzten Vorbereitungen für das Viertelfinale für die Crossfit-Games. Beim Training absolvierte sie einen Box-Over-Jump (Sprungübung über eine Holzbox), bei der die Box beim Herunterspringen kippte und sie sich beim Sturz das rechte Knie verdrehte. 

Mit Schmerzen bei Bewegungen wendete sich die Inhaberin eines eigenen Functional Fitness Gyms zuerst an ihren Hausarzt, der ein MRI veranlasste und sie gleich an die Schulthess Klinik überwies. Zwei Tage nach ihrem Unfall hatte sie einen Termin bei einem ärztlichen Experten der Kniechirurgie der Schulthess Klinik.

Was ist Crossfit®?

Crossfit® ist eine eigene Sportart und steht für «Constantly varied functional movements at high intensity». Es ist ein Wettkampfsport und eine Trainingsmethode, die ihren Ursprung in den USA hat. Verschiedene Elemente aus unterschiedlichen Sportarten werden im Crossfit-Training kombiniert. Im Training wird angestrebt, verschiedene Fitnessdisziplinen wie Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit, Geschicklichkeit, Balance, Koordination ausgewogen zu entwickeln. Auf ein Warm-up folgt meist ein Kraftteil mit einem anschliessenden «Workout of the day (WOD)». Das Training erfolgt meist in einer Gruppe, deren Coach eine Übungsauswahl von bestimmten Übungen mit und ohne Gewichte zusammengestellt. Das Training mit hohen Intensitäten ist sehr effektiv für den Muskelaufbau.

Diagnose «HKB-Ruptur»

Der MRI-Befund zeigte eine hochgradige Partialruptur des hinteren Kreuzbandes mit zusätzlichen Verletzungen der hinteren Kniegelenkskapsel. Das hintere Kreuzband verhindert, dass der Unterschenkel gegenüber dem Oberschenkel nach hinten wegschlägt, wodurch der Fachbegriff «hintere Schublade» entsteht. Risse im hinteren Kreuzband treten häufig dann auf, wenn eine massive Kraft auf das Knie einwirkt.

Die Athletin spürte kein Instabilitätsgefühl, was darauf zurückzuführen ist, dass die Funktion des hinteren Kreuzbandes oftmals muskulär besser kompensiert wird als die des vorderen Kreuzbandes. Unser Mediziner empfahl der Patientin eine konservative Therapie mit tagsüber Ruhigstellung einer Schiene, die das Gleiten des Unterschenkels nach hinten verhindert. Nachts trug die Patientin eine Lagerungsschiene mit voller Streckung. Zusätzlich verschrieb er ihr eine Limite in die Beugung von maximal 90°. Christine K. durfte weiterhin ihr Knie voll belasten.

Sportphysiotherapie als konservative Therapie bei Riss des hinteren Kreuzbandes

Eine Woche später stellte sich die Patientin in der Sportphysiotherapie der Schulthess Klinik vor. In der physiotherapeutischen Untersuchung zeigte die Athletin, die auch als Functional Fitness Coach tätig ist, keine besonderen Auffälligkeiten mit guter Beweglichkeit. Aufgrund dessen setzten wir gleich von Beginn an für die ersten 4 bis 6 Wochen in geschlossener Muskelkette auf sensomotorische Elemente, um die Beinachsenstabilität zu fördern. Um den Kraftverlust der Kraftathletin so gering wie möglich zu halten, steuerten wir im Weiteren in der Sportphysiotherapie einen progredienten Kraftaufbau an, um am Krafterhalt zu arbeiten, sofern sich der Bewegungsumfang im erlaubten Nachbehandlungsprozedere befand. So begrenzten wir beispielsweise den Squat auf 30° und die Leg-press-Maschine bis maximal 60° und steuerten die Arbeit an der Leg-extension-Maschine zwischen 70° bis 0° an. Aufgrund der Verletzung war zu diesem Zeitpunkt für die ersten 6 Wochen eine aktive Kniebeugung verboten.

Da die Patientin Inhaberin eines Functional Fitness Studios ist, schauten wir in der Sportphysiotherapie verschiedene Übungen aus diesem Bereich zusammen an und besprachen, welche Trainingseinheiten die Patientin bedenkenlos weiterhin ausführen konnte, ohne den Rehabilitationsverlauf zu stören. Geringfügig suchten wir auch nach Alternativen, wie zum Beispiel ein Krafttraining auf instabilen Unterstützungsflächen, um im eingeschränkten Bewegungswinkel die Athletin weiterhin zu fordern. Der Kraftaufbau der hinteren Beuge-Muskulatur in der offenen Kette war erst ab 12 Wochen erlaubt, welchen wir dann in der Sportphysiotherapie und auch im Eigentraining verspätet starteten.

Standortbestimmung mittels isokinetischer Kraftmessung

Nach gut 4 Monaten Aufbautraining erfolgte klinikintern eine isokinetische Kraftmessung zur Standortbestimmung der Kraft. Es zeigte sich, dass die Kraft auf der betroffenen Seite schon deutlich mehr Kraft zugelegt hatte als vergleichsweise auf der nicht-betroffenen Seite. Da im Crossfit vorwiegend mit Freigewichten trainiert wird, fokussierte sich die Athletin unter anderem auf isolierte Übungen für den weiteren Aufbau der Muskulatur auf der betroffenen Seite.

 

Tabelle isokinetische Kraftmessung
Abb. 1: Isokinetische Kraftmessung zur Standortbestimmung der vorderen und hinteren Oberschenkelmuskulatur

Return to sport

In der Sportphysiotherapie der Schulthess Klinik teilen wir den Rehabilitationsverlauf in 5 Stadien ein. Mit Berücksichtigung der internen Schematas wird erst ins nächsthöhere Stadium gewechselt, wenn die Patienten die Kriterien des aktuellen Stadiums erreicht haben. Die Einteilung ist wie folgt:

Phase I: Return to activity
Phase II:  Return to low load training
Phase III:  Return to high load training
Phase IV: Return to sport
Phase V: Back to competition

Aktuell befindet sich die Athletin in der vierten Phase, in der sie sportartspezifisch trainiert und ihr Training so verfeinert, bis der Körper es ihr wieder ermöglicht, an Wettkämpfen teilzunehmen. Die Vorbereitungen dazu verlaufen gut und sie befindet sich auf bestem Weg, um an der Qualifikation für die CrossFit Games ihr Können unter Beweis zu stellen.

 

Video: aktueller Trainingsstand von Christine K. in der Phase IV – Return to sport