Brustmuskelriss: ein Kletterunfall mit gravierenden Folgen Ein Fallbeispiel aus der Schulter- und Ellbogenchirurgie
Ein ambitionierter Freizeitkletterer reisst sich in der Steilwand beim Klettern den grossen Brustmuskel. Eine seltene, für den Sportler jedoch schwere Verletzung. Erfahren Sie im folgenden Beispiel mehr zur Diagnostik und Behandlung einer Ruptur des Musculus pectoralis major und wie es dem Patienten heute geht.
Beim ersten Besuch in der Schultersprechstunde merkt man dem damals 57-jährigen Mann den Schrecken noch an. Knapp 4 Tage ist er her, als es beim Klettern zur Beinahe-Katastrophe kam. Alles ging sehr schnell, aber Herr C. kann sich gut daran erinnern, wie er versuchte, einen Griff über sich zu erreichen, dabei abrutschte und seine Hand im letzten Moment doch noch Halt fand. Plötzlich sei er mit ganzem Gewicht – durchtrainierte 77 kg auf 182cm Grösse – am rechten Arm gehängt und habe ein Reissen am Oberarm verspürt. Schnell sei ihm klar gewesen, dass nicht nur der schöne Klettertag zu Ende ist, sondern dass mehr auf dem Spiel steht. Zum Glück ist er ein sehr erfahrener Kletterer und schafft es auch nur mit einem gesunden Arm wieder zurück ins Tal.
Der Weg zur Diagnose «Brustmuskelriss»
Nach Erstversorgung in einem Kantonsspital mit Schmerzmitteln und Armschlinge ist er zunächst erleichtert, dass nichts gebrochen ist. Eine genaue Diagnose gibt es jedoch noch nicht. Was ihm auffällt, ist ein grosser Bluterguss, der sich über der rechten Brust und entlang des Oberarmes gebildet hat. Zwar kann er den Arm noch recht gut bewegen, aber bei jeder Bewegung hat er Schmerzen. Für die weitere Diagnose und Versorgung wendet er sich an unsere Abteilung Schulter- Ellbogenchirurgie.
Der entscheidende Hinweis zur Diagnose «Brustmuskelriss», sprich Ruptur des Musculus pectoralis major, ist dann letztlich das, was man als «Blickdiagnose» bezeichnen kann. Im Rahmen der Sprechstunde fällt im Seitenvergleich eine völlig asymmetrische Achsellücke auf. Gerade bei Abspreizung beider Arme zur Seite fehlt rechts der typische, vom Musculus pectoralis major geformte vordere Rand der Achselhöhle. Auch die Brust selbst ist deformiert und scheint am oberen äusseren Rand eine Delle zu haben. Dieser Bereich ist zudem ausgesprochen druckschmerzhaft. Und beim Versuch, einen Liegestütz an der Wand vorzumachen, ist ihm dies aufgrund von Schmerzen und einer Schwäche des Armes nicht möglich.
Der Verdacht auf eine Ruptur der Sehne des Musculus pectoralis major ist sehr wahrscheinlich und allein aufgrund der Untersuchung zu stellen. Wir entscheiden, bereits am Folgetag, ein Schulter-MRI durchzuführen, um einerseits die Diagnose zu bestätigen, andererseits Begleitverletzungen auszuschliessen. Gerade die Sehnen der Rotatorenmanschette gilt es zu überprüfen. Das MRI bringt schliesslich die letzte Sicherheit. Die Sehne ist auf kompletter Länge am Oberarm abgerissen und hat sich aufgrund des kräftigen Muskelzuges um mehrere Zentimeter retrahiert.
Der Weg zurück zum Berg führt in den OP
Rasch realisiert der Bergliebhaber die Ausgangslage seiner Verletzung. Die operative Refixation dieses wichtigen und sehr kräftigen Muskels ist die beste Option, um ihm wieder die Chance auf eine Rückkehr in die Berge zu ermöglichen. Wenige Tage später wird bereits die OP anberaumt. Die Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Muskelretraktion und Vernarbungen/Verwachsungen machen es mit zunehmender Dauer schwerer, den Muskel wieder an die korrekte Stelle zu adaptieren.
In Vollnarkose führen wir einen knapp 6 cm langen Hautschnitt direkt über dem Ansatzbereich der Sehne am Oberarm in Richtung Achsel durch. Bereits kurz darauf können wir mit einer Klemme die abgerissene Sehne fassen. Wir armieren sie mehrfach mit starken, reissfesten Fäden, um ein Durchschneiden der Fäden durch die dünne Sehnenplatte zu verhindern.
Schnell ist klar, dass es spannungsfrei gelingen wird, die Sehne an ihrer humeralen Insertionsstelle wieder zu verankern. Dazu fädeln wir die Fadenenden in sogenannte Endobuttons ein und bringen diese dann durch kleine Bohrlöcher senkrecht in den Oberarm ein. Dort werden die Buttons durch Zug an einem Fadenende «geflippt». Sie liegen nun quer zum Bohrloch und können nicht mehr zurück an die Oberfläche (Bild 3). Die Verankerung ist damit stabil und nach Knüpfen der Fadenenden ist auch die gesamte Sehne wieder breitflächig auf der Knochenoberfläche fixiert.
Die Nachbehandlung ist zum Schutz der refixierten Sehne vorsichtig und langsam. In den ersten 6 Wochen trägt der Patient den Arm in einer Schlinge. Die Aussenrotation ist auf 0° begrenzt, ebenso bestehen Einschränkungen für das Anheben und Abspreizen des Armes. Nach 3 Monaten wird die Belastung wieder gesteigert und sukzessive aufgebaut.
Der Gipfel ist das Ziel
Nach einem halben Jahr beginnt Herr C. wieder mit längeren Bergtouren und Wanderungen. Das Gefühl im operierten Arm ist gut und er gewinnt das Vertrauen zurück. Zur Jahresfrist nach Operation meldet er sich bei uns und schickt Grüsse vom Gipfelaufstieg (Bild 4 und 5).
Lassen wir zum Schluss noch den Patienten zu Wort kommen:
«Diese körperliche Verletzung nahm mich auch psychisch mit, vor allem, weil ich grosse Angst hatte, meiner Lebensfreude, dem Bergsport, nicht mehr nachgehen zu können. Umso mehr schätzte ich es, dass man sich in der Schulthess Klinik Zeit für mich als Patient nahm. Ich fühlte mich geborgen aufgehoben und zuversichtlich, dass man sich ernsthaft um meine Verletzung kümmerte. Das gab mir Vertrauen, was in diesem «verletzten Zustand» äusserst wichtig für mich war. Weiter haben mich die durchorganisierten Abläufe in der Klinik beeindruckt. Mit wenigen Terminen wurden sämtliche nötigen Abklärungen getroffen und schon nach kurzer Zeit konnte ich operiert werden. Die Operation wurde meines Erachtens äusserst professionell durchgeführt. Ich bin glücklich, dass ich nach erfolgreicher Genesung wieder meiner Leidenschaft in den Bergen nachgehen kann.»