News Nachruf für Prof. Dr. med. Heiner Scheier, 23.7.1926 - 26.3.2021

Am 26. März 2021 hat uns mit Professor Dr. med. Heinrich («Heiner») Scheier eine grosse Persönlichkeit der Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie verlassen. Erfahren Sie im Nachruf von Prof. Dr. med. Dezsö Jeszenszsky, Dr. med. Tomas Drobny und Dr. med Rainer-Peter Meyer mehr über den grossartigen Arzt und Pionier, der mit fokussierter Besonnenheit die Entwicklung der Klinik wesentlich mitprägte.

Wir nehmen Abschied von einem der grössten Schweizer Pioniere der Wirbelsäulenchirurgie, der seit seinem Antritt als Co-Chefarzt der Schulthess Klinik im Jahr 1969 das Vermächtnis des Gründers der Schulthess Klinik, Dr. Wilhelm Schulthess, weitergeführt hat. So führte er die bis dahin langwierigen konservativen Therapien der schweren Wirbelsäulendeformitäten in die Ära der operativen Korrekturen. Mit seiner Genialität und Bereitschaft, sein Leben diesem anspruchsvollen Gebiet der orthopädischen Chirurgie der Wirbelsäule zu widmen, legte er den Grundstein für eine moderne Behandlung des Achsenorgans in der Schweiz.

Das Studium der Medizin begann für Heiner Scheier an der Universität Freiburg (CH). Nach einem Auslandsemester in Paris kehrte er zurück in die Schweiz und schloss das Studium an der Universität Zürich ab. Die Fachausbildung genoss er zuerst in Holland, dann im Wallis und in St. Gallen. Nach dem Eintritt in die orthopädische Universitätsklinik Balgrist in Zürich, wo er auch später habilitierte, spezialisierte sich Prof. H. Scheier zunehmend auf die Wirbelsäulenchirurgie. 1969 wurde Prof. H. Scheier von Prof. N. Gschwend zum Co-Chefarzt an die Schulthess Klinik berufen – ein Ruf, dem er gerne folgte. Seine Arbeiten erfuhren in der Folge nicht nur national, sondern international die höchste Anerkennung. 

Die Schulthess Klinik wurde 1883 durch Dr. Wilhelm Schulthess als Heim für körperlich behinderte Kinder gegründet, welche mit schweren Deformitäten der Wirbelsäule Monate bis Jahre in der Klinik verbrachten. Der grosse Fortschritt fand statt, als Prof. Scheier mit seinen Operationen die Deformitäten korrigieren und den Spitalaufenthalt drastisch reduzieren konnte, den betroffenen Kindern eine normale Gestalt zurückgab und ihnen ein normales Leben ermöglichte.

Prof. Scheier war in vieler Hinsicht ein Vorbild für seine Assistenzärzte. Neben der fachlichen Kompetenz waren dies vor allem seine Menschlichkeit und Bescheidenheit. Starallüren waren ihm fremd. Kaum ein anderer hätte es besser zum Ausdruck bringen können als sein «Kampfgefährte» Prof. N. Gschwend (1925–2020), selber seit 1962 Chefarzt an der Schulthess Klinik, in einer früheren Laudatio:

«Würde es eines Beweises bedürfen, dass kompromisslose Ehrlichkeit und ein hohes Mass an Uneigennutz, gepaart mit einer entwaffnenden Bescheidenheit, am zuverlässigsten die Sympathie der Mitmenschen zu mobilisieren vermögen, so hinterlässt ihn Heiner Scheier in den Herzen all jener, die ihn näher kennen durften.
Wer liebt nicht diesen zerstreut wirkenden echten Professor, der unangefochten von rasch wechselnden Kleidermoden, stets voll auf seine ihm wichtig erscheinende Tätigkeit konzentriert, allem Unwesentlichen in dieser Welt nicht mehr Aufmerksamkeit widmete, als die leere obere Hälfte seiner auf die Nasenspitze abgerutschten Brille zuliess.»

Welches Wunder dieses Zweigespann mehr oder weniger aus dem Nichts vollbrachte, kann man heute an der Lengghalde 2 in Zürich, in Form der heutigen Schulthess Klinik, bestaunen.

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1999 hat sich Prof. Scheier vollständig in seine Privatsphäre zurückgezogen und wurde an der Schulthess Klinik nur selten gesehen. Auch seine Lehrtätigkeit an der Universität und sein Engagement in der Schweizerischen Gesellschaft für Orthopädie (heute Swiss Orthopaedics) stellte er ein. Seine Nachfolger, zuerst Prof. Dieter Grob und jetzt der unterzeichnete Prof. Dezsö Jeszenszky, tragen bis heute sein Vermächtnis erfolgreich weiter, wie das Prof. Scheier seinerzeit tat, als er in die Fussstapfen von Dr. Wilhelm Schulthess trat.

Kennzeichnend für die Einstellung von Prof. Scheier ist diese anekdotische Geschichte aus dem Hörsaal. Bei einer Vorlesung stellte Prof. Scheier einen Patienten vor, der ihn begleitete und die ganze Vorlesung miterlebte. Während der einstündigen Vorlesung zeigten sich die Studenten nicht sehr diszipliniert, unterhielten sich untereinander und zeigten wenig Respekt und Aufmerksamkeit für den vortragenden Professor. Auf dem Weg zurück in die Schulthess Klinik fragte der Patient Prof. Scheier, ob es sich gelohnt und ob es ihn nicht gestört habe, dass die Studenten nicht aufmerksam seinen Ausführungen zugehört hätten. Darauf antwortete Prof. Scheier: «Wissen Sie, wenn nur einer von den vielen Studenten zugehört hat, dann hat sich das schon gelohnt.»

Mit Prof. Heiner Scheier verlieren wir einen echten Freund und Lehrer, der als lieber Mensch und visionärer Arzt in uns weiterleben wird.


Prof. Dr. med. Dezsö Jeszenszky, Chefarzt Wirbelsäulenchirurgie
Dr. med. Tomas Drobny, Senior Consultant Untere Extremitäten              
Dr. med. Rainer-Peter Meyer, Senior Consultant Obere Extremitäten

Prof. Heiner Scheuer mit Wirbelsäulenmodell