Schmerzhafte Zuckungen und Krämpfe in den Beinen

Feine Zuckungen der Muskulatur, die unter der Haut sichtbar sind, werden Faszikulationen genannt und können sehr lästig sein. Sucht man im Internet nach dem Begriff, taucht relativ schnell die meist schnell tödlich verlaufende Krankheit amyotrophische Lateralsklerose (ALS) auf. Faszikulationen und zunehmende Lähmungen gehören zu dieser Krankheit. Bei der amyotrophischen Lateralsklerose (ALS) treten Faszikulationen infolge elektrischer Entladung der untergehenden Vorderhornzelle im Rückenmark oder Hirnstamm auf. Sie können aber auch bei anderen Erkrankungen von einzelnen Nervenwurzeln oder Nerven vorkommen. Daneben werden sogenannten benigne (gutartige) Faszikulationen abgegrenzt, die keinen Krankheitswert haben und sich vorübergehend, oft im Gesicht (zum Beispiel an Augenlidern), zeigen. Ebenfalls als benigne wird das «Crampi-Faszikulations-Syndrom» bezeichnet, da bei dieser Erkrankung eine Schädigung des Nervensystems nicht nachgewiesen werden kann. Dass aber «benigne» nicht gleichbedeutend ist mit «keine Probleme verursachend», verdeutlicht der nachfolgende Fall.

Ein damals 48-jähriger Mann stellte sich Ende 2017 in unserer Sprechstunde vor, da bei ihm nach einer wirbelsäulenchirurgischen Operation vor vielen Jahren in zunehmendem Ausmass Zuckungen des rechten Beines aufgetreten sind, die bald auch das linke Bein betrafen und der zusätzlich unter starken Beinkrämpfen litt. Diese Schmerzen traten vor allem nach längerem Gehen auf und schränkten den Patienten stark ein. Vergleichbare Beschwerden an den Armen bestanden keine.

In den Jahren zuvor erfolgten extern zahlreiche neurologische Abklärungen mit Laboruntersuchungen, MRT-Aufnahmen (von der voroperierten Wirbelsäule, isoliert der Beine, als auch des gesamten Körpers), einer Muskelbiopsie, Funktionstestungen der Muskulatur, Nervenmessungen (Neurographien) und Untersuchungen der Muskulatur (Elektromyographien, EMG). Diese Untersuchungen lieferten keine Erkenntnisse über die Ursache der Beschwerden und eine Diagnose konnte nicht gestellt werden. Es erfolgte deshalb auch keine spezifische Therapie.

In unserer ersten neurologischen Untersuchung im Jahre 2017 – fast 8 Jahre nach Beginn der Beschwerden – fand sich ein weitgehend normaler klinischer Befund mit aber gut sichtbaren Zuckungen an den Beinen, insbesondere an der Wadenmuskulatur beidseits, jedoch ohne Muskelschwund oder Schwächen.

In den von uns durchgeführten elektrophysiologischen Zusatzuntersuchungen (Elektroneurographie, transkranielle Magnetstimulation) fanden sich keine relevanten Auffälligkeiten. Den einzigen auffälligen Befund lieferten EMG-Untersuchungen beider Beine: Es zeigten sich wie erwartet zahlreiche Faszikulationen an den Ober- und den Unterschenkeln beidseits, vor allem in der Wadenmuskulatur.

Faszikulation

Der Verlauf der Beschwerden (sprich Faszikulationen und Krämpfe) mit langsamer Zunahme über viele Jahre, der normale Untersuchungsbefund und die elektrophysiologischen Zusatzuntersuchungen führte uns zur Annahme, dass ein sogenanntes benignes Crampi-Faszikulations-Syndrom vorliegen dürfte.

Wir begannen eine Behandlung mit Carbamazepin, einem ursprünglich zur Behandlung der Epilepsie entwickelten Medikament, welches beim benignen Crampi-Faszikulations-Syndrom eingesetzt wird. Sehr rasch zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Beschwerden, wobei die schmerzhaften Krämpfe an den Beinen, welche für den Patienten stark belastend waren, sehr gut behandelt werden konnten und er somit an Mobilität und Lebensqualität gewann. Die Nebenwirkungen des Medikaments in Form einer leichten morgendlichen Benommenheit und eines leichten Schwindels nahm der Patient in Kauf.

Die Falldarstellung illustriert eine relativ seltene Erkrankung als Ursache von Faszikulationen und sehr schmerzhaften Wadenkrämpfen. Sie veranschaulicht auch, dass Muskelzuckungen nicht immer ein Zeichen einer schwerwiegenden Erkrankung sein müssen. In diesem Fall konnten die Krämpfe durch ein Medikament deutlich gelindert werden und die Lebensqualität des Patienten wurde viel besser. Das in der Bevölkerung häufige Problem von Beinkrämpfen in der Nacht kann leider nicht immer so erfolgreich behandelt werden wie in diesem Fall.

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