Jeder verpasste kindliche Kreuzbandriss ist eigentlich einer zu viel Praxistipp aus der Kinderorthopädie zu Knieverletzungen
Was ist bei einer Knieverletzung beim Kind zu beachten? Welche Punkte sind bei der Untersuchung wichtig, um keine Verletzung mit möglichen Spätfolgen zu verpassen? Erfahren Sie mehr in unserem Praxistipp.
Die Skisaison steht vor der Tür. Während dieser Zeit sehen wir in unserer kinder-und jugendorthopädischen Sprechstunde unverhältnismässig viele Kniebinnenverletzungen, die im Rahmen von Stürzen beim Ski-und Snowboardfahren entstehen. Leider kommt es auch häufiger vor, dass diese übersehen oder unterdiagnostiziert werden, vermutlich in dem Glauben, dass kindliche Kniegelenke «viel vertragen» beziehungsweise sich so oder so sehr gut erholen. Bei früher Diagnose kann eine adäquate Therapie viel zielführender durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist es uns ein Anliegen, einen kurzen Überblick über die typischen kindlichen Knieverletzungen und deren Behandlung zu geben, mit dem speziellen Fokus auf die richtige Diagnostik.
Heutiges Skiverhalten führt zu häufigeren und heftigeren Knieverletzungen.
Die Skier sind in den letzten Jahren taillierter geworden, was die Fliehkräfte in den gecarvten Schwüngen erhöht. Gleichzeitig sind die Pisten ausgezeichnet präpariert, was deutlich höhere Geschwindigkeiten zulässt. Zudem werden die Bindungen entsprechend diesen Ansprüchen stärker eingestellt. Dies führt dazu, dass ausgeprägte Distorsionstraumen der Kniegelenke nicht nur häufiger vorkommen, sondern auch deutlich heftiger ausfallen.
Am häufigsten sehen wir infolgedessen isolierte Rupturen des vorderen Kreuzbandes. Als Begleitverletzungen stehen Innenbandrupturen und – zum Glück seltener – Meniskusverletzungen im Vordergrund.
Entscheidend: Verlaufsuntersuchung beim Kinderarzt/Hausarzt
Nach einem Kniegelenkstrauma werden die Kinder meistens noch im Skiort nativradiologisch abgeklärt und ihnen eine Knieschiene angelegt. Im Gegensatz zum verletzten Erwachsenen wird praktisch nie eine MRI-Diagnostik durchgeführt. Eine Verlaufsuntersuchung soll dann beim Kinderarzt respektive Hausarzt erfolgen. Dieser soll beurteilen, inwiefern ein Kniebinnenschaden vorliegt, da dies unmittelbar nach dem Unfall aus Schmerzgründen nicht möglich war.
Meistens hat sich auch ein schwer traumatisiertes kindliches Kniegelenk nach einigen Tagen so gut erholt, dass die Kinder wieder zumindest teilweise belasten können. Auch eine initial stärkere Schwellung ist meistens stark rückläufig bis nicht mehr vorhanden.
Jetzt kommen einer nochmaligen eingehenden Anamnese und Untersuchung des Kniegelenkes eine entscheidende Rolle zu:
- Was genau ist passiert?
- Wurde das Knie bei dem Sturz stark verdreht?
- Hat sich die Bindung rasch gelöst?
- Konnte das Kind im Anschluss an den Unfall noch belasten?
- Ist das Knie stark angeschwollen nach dem Unfall?
- Falls ja, wo war die Schwellung?
- War das Knie gesamthaft stark angeschwollen oder isoliert nur innen oder aussen?
Aus diesen einfachen Fragen und einer eingehenden klinischen Untersuchung lässt sich schon häufig die Wahrscheinlichkeit einer Kniebinnenverletzung ableiten.
Klassische Warnhinweise «Red Flags» in der Anamnese und in der klinischen Untersuchung:
- Ein ausgeprägtes Distorsionstrauma, gefolgt von einem Erguss im Kniegelenk ist immer ein dringender Hinweis für eine Verletzung der Kreuzbänder, zumindest bis das Gegenteil bewiesen ist.
- Auch eine Nichtbelastbarkeit der Extremität und noch viel mehr ein subjektives Instabilitätsgefühl sind klare «Red Flags».
- Besteht zudem in der Untersuchung eine vordere Instabilität – immer im Vergleich zur Gegenseite – ist eine weitere Abklärung dringend angezeigt.
- Eine persistierende Bewegungseinschränkung bei der aktiven und passiven Untersuchung ist ein Hinweis für eine bedeutende Knieverletzung. Bei einer VKB-Läsion persistiert meistens ein Streckdefizit, welches aber auch durch eine Meniskusverletzung bedingt sein kann. Bei entsprechenden klinischen Zeichen sollte auch hier weiter abgeklärt werden.
Warum eine weitere Abklärung so wichtig ist
Im Frühstadium kann in Abhängigkeit der Art der VKB-Ruptur eine Naht des Bandes durchgeführt werden, insbesondere dann, wenn es sich um einen proximalen Ausriss des Bandes handelt. Dies gelingt mit einem arthroskopischen Eingriff (Abbildung 1). Eine langfristige Instabilität kann damit meistens verhindert werden. Wir sprechen hier von einem günstigen Zeitfenster der Therapie zwischen 7-10 Tagen nach dem Trauma. Die Stümpfe ziehen sich im weiteren Verlauf so weit zurück, dass eine Naht nicht mehr möglich ist.
Dies wäre insofern problematisch, da eine konventionelle VKB-Plastik erst nahe am Wachstumsabschluss durchgeführt werden kann. Langfristige Instabilitäten führen nicht selten zu Begleitverletzungen der Menisken bei instabilitätsbedingten Rezidiv-Distorsionstraumen. Meniskusschäden sollten ebenfalls frühestmöglich behandelt werden.
Auch ein knöcherner Ausriss des vorderen Kreuzbandes sollte möglichst frühzeitig adäquat behandelt werden. Je nach Grad der Verletzung kann die Therapie konservativ oder operativ erfolgen (Abbildung 2 und 3).
Wenn das Kreuzband intraligamentär gerissen ist und daher eine Naht nicht möglich ist, kann eine adäquate Nachbehandlung (zum Beispiel im Gipstutor) eine weitestgehend stabile narbige Verheilung bewirken (Abbildung 3).
Fazit für die Praxis
Eine genaue Anamnese in Kombination mit einer eingehenden klinischen Untersuchung lässt schon eine Verdachtsdiagnose zu. Sind Sie im Zweifel, sollte das Kind einer MRI-Untersuchung unterzogen werden oder weisen sie es möglichst rasch einem Kinder- und Jugendorthopäden zu, um eine bedeutende Kniebinnenverletzung nicht zu verpassen.
Je nach Befund kann dann adäquat reagiert– ob konservativ oder operativ – und eine langfristige Instabilität verhindert werden.
Eine schnelle Kontaktaufnahme halten wir in diesen Situationen für empfehlenswert und stehen jederzeit gerne zu Verfügung. Durch die Zusammenarbeit unserer Kinderorthopädie mit den Kniespezialisten der Klinik ist ein hochspezialisiertes Vorgehen stets gewährleistet.
Autor: Dr. med. univ. Hannes Manner, Stv. Chefarzt Kinder- und Jugendorthopädie