Behandlung Minimal invasive Wachstumslenkung (Hemiepiphysiodese) bei Fehlstellung der Beine im Kindes- und Jugendalter

Die sogenannte Wachstumslenkung dient dazu, Fehlstellungen der Beine während des Wachstums so zu beeinflussen, dass sie sich «gerade» wachsen. Dies gelingt leider nicht mit Einlagen oder Schienen. Wenn die Fehlstellung derart ausgeprägt ist, dass im Laufe des Lebens frühzeitig Schäden der Gelenke und insbesondere des Kniegelenkes zu erwarten sind, so wird in der Kinderorthopädie häufig zu einer Wachstumslenkung anhand einer kleinen Operation (Hemiepiphysiodese) geraten.

Entwicklung der Beinachsen

Liegt nach Gehbeginn und in den folgenden Jahren eine sehr ausgeprägte und sogar zunehmende X- oder O-Beinstellung der unteren Extremitäten vor, so ist dies zumindest kurzfristig beobachtungswürdig oder teilweise auch weiter abzuklären. In den meisten Fällen handelt es sich aber selbst bei sehr ausgeprägten X- oder O-Beinen im Kleinkindesalter um noch gutartige Verläufe, die lediglich eine gute Beratung erfordern. Üblicherweise lässt sich auch mit einer regelmässigen Fotodokumentation der Verlauf sehr gut beurteilen (Abb. 1). 

Foto Kind mit Verlauf Entwicklung X-Beine
Abb. 1: Starkes, aber für dieses Alter noch physiologisches X-Bein auf beiden Seiten. In den ersten 7 Lebensjahren hat sich die X-Beinigkeit spontan bereits deutlich korrigiert.

Zu bedenken ist auch, das gerade im Kindergartenalter ein recht ausgeprägtes X-Bein typischerweise noch durch ein Einwärtsdrehen der Kniegelenke im freien Gang verstärkt wird. Üblicherweise wächst sich aber auch dies gemeinsam mit der X-Beinigkeit aus.

Ursachen und Diagnose von Fehlstellungen der Beine im Jugendalter

Wenn aber eine O-Beinstellung und viel häufiger eine X-Beinstellung nach dem 10. Lebensjahr auffällt, so entspricht dies nicht mehr dem normalen Verlauf und ist abklärungs- und allenfalls auch therapiebedürftig. Üblicherweise schicken uns die Kinder- und Jugendärzte dann den Patienten zu einer Standortbestimmung. Je nach Alter und Entwicklungsstand werden wir dann auch eine Röntgenuntersuchung durchführen, vor allem um den Zeitkorridor einer Wachstumslenkung (siehe unten) nicht zu verpassen. Wir werden aber Röntgenbilder lediglich dann durchführen, wenn daraus eine therapeutische Konsequenz resultiert. 

Unsere Hauptaufgabe in der Behandlung von Achsenfehlstellung sehen wir darin, Spätschäden und bei Fällen einer starken X- oder O-Beinigkeit eine frühzeitige Arthrose (Abnutzung), vor allem des Kniegelenkes, zu verhindern (Abb. 2)

Röntgenbild 40-Jähriger mit Arthrose wegen unbehandelter Fehlstellung
Abb. 2: Bei diesem 40-Jährigen führte die unbehandelte, seit der Kindheit bestehende, Fehlstellung zu einer ausgeprägten Arthrose (Abnutzung) der äusseren Kniegelenksanteile. Mit einer Wachstumslenkung hätte man dies sehr einfach behandeln und die Folgeschäden verhindern können.

Ursachen von Achsenfehlstellungen

In den allermeisten Fällen bestehen von der Ursache her ungeklärte Fehlstellungen. Diese treten sporadisch auf, nicht selten weisen Familienmitglieder ein ähnliches Erscheinungsbild auf. Heutzutage seltener bestehen posttraumatische Fehlstellungen, da die Erstversorgung nach einem Knochenbruch glücklicherweise auf sehr hohem Niveau durchgeführt wird. 

Eine eher seltene Ursache für eine X-Beinigkeit sind angeborene Fehlbildungen. Als weitere Ursachen sind auch Stoffwechselstörungen und Dysplasien zu nennen. Erfreulicherweise ist in unseren Breiten die Rachitis nur noch selten Ursache einer ausgeprägten Fehlstellung (Abb. 3).  

Fotos und Röntgenbilder Behandlungsverlauf starke O-Beine wegen Rachitis
Abb. 3: Schwere O-Beinfehlstellung aufgrund einer Rachitis bei einer 11-Jährigen aus Somalia. Erfolgreiche minimalinvasive Behandlung mit wachstumslenkenden 8-Plates.

Diagnose

Der Untersuchungsbefund 

Die Untersuchung bei einem Verdacht auf eine Achsenfehlstellung im Bereich der Beine beginnt immer mit einer genauen Begutachtung des Gangbildes. Typischerweise ist die X-Beinigkeit mit funktionellen Einschränkungen verbunden, da die Kniegelenksinnenseiten beim Gehen aneinanderreiben und sogar -stossen können. Der Patient nimmt dadurch entweder ein breitspuriges Gangbild ein oder er muss die Kniegelenke umeinander führen, was einen höheren Energieaufwand beim Gehen erfordert. Im Rahmen der Untersuchung überprüfen wir selbstverständlich auch die Beinlänge und begutachten die Drehverhältnisse im Bereich des Oberschenkels und des Unterschenkels sowie auch die Fussform. 

Achsenfehler in der Frontalansicht lassen sich gut klinisch beschreiben. Der Abstand zwischen den Innenseiten der Kniegelenke beim O-Bein oder der Innenknöchelabstand beim X-Bein und gleichzeitig aneinandergelegten Knieinnenflächen ist ein gewisser Anhaltspunkt, lässt aber eine vollständige Diagnose natürlich noch nicht zu. Vor allem eine etwas stärkere Weichteilpolsterung kann ein nur mild vorliegendes X-Bein deutlich im Eindruck verstärken. 

Wann und wieso wird ein Röntgenbild durchgeführt? 

Wenn der Verdacht auf eine Achsenfehlstellung besteht und sich aufgrund des Alters des Patienten und des Ausprägungsgrades der X- oder O-Beinigkeit eine therapeutische Konsequenz ergeben würde, führen wir eine standardisierte Ganzbeinstandröntgenaufnahme durch. Nur wenn die Röntgenanalyse genau durchgeführt werden kann, können wir anhand der sich ergebenden Winkel (Deformitätenanalyse nach Paley et al) erkennen, wo sich die Deformität befindet und vor allem, wie stark sie ausgeprägt ist. Darüber hinaus gehende Untersuchungen sind nur selten notwendig. Wir sind strikt keine Befürworter von überflüssiger Diagnostik, die keine therapeutische Konsequenz hat. 

Therapie

Wann muss therapiert werden? 

Behandlungsbedarf besteht dann, wenn eine Achsenfehlstellung besteht, die eine frühzeitige Mehrabnutzung eines Kniegelenksanteils begünstigen würde. Diese Überlastung eines Kniegelenkkompartiments entsteht dann, wenn die mechanische Achse, die zwischen Hüftkopf und Sprunggelenk verläuft, zu weit innen (beim O-Bein) und – viel häufiger – zu weit aussen (bei der X-Beinigkeit) verläuft (Abb. 4).  

Röntgenbild X- und O-Beine
Abb. 4: Bei der O-Beinigkeit (links) verläuft die mechanische Achse zu weit innen, bei der X-Beinigkeit (rechts) zu weit aussen. Bei einer signifikanten Fehlstellung resultiert eine abnormale Belastung eines Kniegelenkanteiles und kann zu Arthrose führen.

Leider sind konservative (nicht-operative) Therapiemassnahmen bei knöchernen Problemstellungen nicht vorhanden. Schienen und Spezialschuhversorgung sind nach heutigem Wissensstand nicht wirksam. Durch eine gewisse Gangschulung kann das Gangbild zwar gebessert werden, die eigentliche Fehlstellung kann damit aber nicht verändert werden.

Die minimalinvasive Wachstumslenkung (Hemiepiphysiodese)- von der Operation bis zum Wachstumsabschluss 

Stellen wir in der Sprechstunde fest, dass eine behandlungsbedürftige X- oder O-Beinigkeit besteht und dass der ideale Zeitpunkt – der pubertäre Wachstumsschub – vorliegt, führen wir seit mehreren Jahrzehnten mit grossem Erfolg die Wachstumslenkung (Hemiepiphyseodese) im Bereich der Kniegelenke durch.  

Seit mittlerweile über 12 Jahren verwenden wir hierfür ein kleines 8er-Plättchen, welches mit jeweils einer Schraube oberhalb und unterhalb der behandelten Wachstumsfuge («Wachstumszone» des Knochens) angebracht wird. So blockieren wir auf einer Seite das Wachstum, wodurch sich die Achse während des weiteren Wachstums lenken lässt, da die nicht gebremste Gegenseite der Wachstumsfuge weiterwächst. Somit korrigiert sich die Fehlstellung quasi automatisch während des weiteren Wachstums. 

Für die Operation ist eine kurze Narkose erforderlich. Die Implantation des Plättchens erfolgt über einen minimalinvasiven Zugang (Abb. 5), der mit etwa 3 cm kaum länger als das Plättchen an sich ist. Für die Implantation eines Plättchens rechnen wir mit etwa 15 bis 18 Minuten vom Hautschnitt bis zur Hautnaht. Häufig können wir die Operation beidseits simultan durchführen, sodass sich die Operationszeit sehr kurz hält. Üblicherweise verwenden wir sich selbst auflösende Fäden, die wir noch zusätzlich mit Steri-Strips befestigten, sodass eine Nahtentfernung entfällt. 
 

Hautschnitt für Plättchen zur Wachstumslenkung
Abb. 5: Über einen kurzen Hautschnitt wird das Plättchen innerhalb von ca. 15 Minuten implantiert. Meistens verwenden wir einen selbstauflösenden Faden. Zurück bleibt eine strichförmige Narbe.

Der Aufenthalt in der Schulthess Klinik umfasst normalerweise 2 Übernachtungen. Üblicherweise sind die Patienten (die häufig auf beiden Seiten ein 8er-Plättchen implantiert erhalten) so gut an Gehstöcken mobilisiert, dass sie bei der Entlassung den sogenannten 4-Punkt-Gang beherrschen und auch Treppen steigen können. Die Gehstöcke werden üblicherweise für 3-4 Tage vom Zeitpunkt der Operation verwendet, anschliessend allenfalls noch bei längeren Gehstrecken. 

Eine begleitende Physiotherapie ist üblicherweise nicht notwendig. Eine Sportfähigkeit besteht durchschnittlich nach etwa 2.5 bis 3 Wochen. Die Voraussetzung ist, dass die Wunde gut verheilt ist. Anschliessend finden Verlaufskontrollen in unserer Sprechstunde alle 5-6 Monate statt. Dabei wird jeweils ein Röntgenbild der Beine angefertigt, um den Erfolg der Wachstumslenkung zu sehen (Abb. 6). 

Foto und Röntgenbilder Verlauf Behandlung X-Beine
Abb. 6: Verlauf einer Wachstumslenkung bei einem ausgeprägten X- Bein. Es zeigt sich eine zunehmende Korrektur während 15 Monaten. Anschliessend wurden die Plättchen über den gleichen Hautschnitt ambulant entfernt.

Meistens ist eine Zeit von etwa 12 bis 18 Monaten notwendig, um die Beinachse zu korrigieren. Dies ist natürlich davon abhängig, wie viel Wachstum in dieser Zeit stattfindet und wie stark die Fehlstellung ursprünglich war. Wenn die Beinachsen korrigiert sind, können die Plättchen wieder entfernt werden. Dies lässt sich üblicherweise ambulant, das heisst ohne Übernachtung im Spital durchführen. Auch hier besteht wieder eine Sportunfähigkeit für etwa 2.5 bis 3 Wochen. 

Die Wachstumslenkung mit den 8er-Plättchen und den 2 Schrauben ist eine äusserst erfolgreiche Methode zur frühzeitigen Behandlung von Fehlstellungen im Kindes- und Jugendalter. Von 2007 und 2018  behandelten wir an unserer Klinik über 1000 Fälle mit dieser Methode erfolgreich. 

Gibt es auch Risiken der Wachstumslenkung? 

Die Operation an sich ist eine unkomplizierte, wenn auch gewissenhaft durchzuführende Operation. Das Plättchen muss absolut korrekt platziert werden. Die zuvor schrittweise durchtrennten Gewebeschichten werden anschliessend wieder sorgfältig vernäht und die Haut verschlossen. 

Ein wichtiges Thema ist das sogenannte Rebound-Phänomen. Nach stattgefundener Wachstumslenkung und nach Entfernung der Plättchen kann ein Rückfall auftreten. In unserer Klinik werden daher die Plättchen möglichst zum optimalen Zeitpunkt eingesetzt; das heisst, sie dürfen weder zu früh noch zu spät eingesetzt werden. Eine zu frühe Implantation könnte bedeuten, dass das Wachstum nach Entfernung der Plättchen noch so ausgeprägt ist, dass es zu einem Wiederauftreten der Fehlstellung kommen kann. Ein zu spätes Einsetzen würde bedeuten, dass man nicht mehr genug Wachstum für die Wachstumslenkung hätte. 

Zusammenfassung

In den meisten Fällen sind Achsenfehlstellung der unteren Extremitäten problemlos und sie wachsen sich im Laufe des ersten Lebensjahrzehnts aus. Falls eine Fehlstellung der Beinachsen über das 10. Lebensjahr hinaus besteht, so empfehlen wir eine Vorstellung beim Kinderorthopäden. Dieser sollte dann mit seiner Erfahrung entscheiden, ob eine behandlungsbedürftige Problematik vorliegt, wann optimalerweise eine Röntgenuntersuchung zusätzlich durchgeführt werden sollte und wann der optimale Zeitpunkt für eine möglicherweise notwendige Wachstumslenkung ist.

Die Wachstumslenkung ist an sich ein kleiner chirurgischer Eingriff mit ausgezeichneter Wirkung und extrem wenig Komplikationen. 

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