Rückenmark-Tumor – Fallbeispiel 1

Tumore, die im Rückenmark lokalisiert sind, treten glücklicherweise selten auf. Die Gesamtinzidenz dieser Tumore beträgt ungefähr sieben Prozent aller Tumore des Zentralnervensystems. Prinzipiell gibt es neben Raritäten zwei am häufigsten auftretende Tumore (85 Prozent), die sich primär im Rückenmark manifestieren.

Das Ependymom und das Astrozytom. Nur drei Prozent der Ependymome zeigen einen malignen Verlauf, wogegen das Astrozytom in 20 Prozent der Fälle eine anaplastische Variante zeigt. Beide Tumorarten sind wenig bis gar nicht chemotherapeutisch angehbar, und die Radiotherapie birgt relativ grosse Risiken bezüglich postaktinischer Myelopathien. Durch ihr langsames Wachstum innerhalb des Rückenmarks treten Symptome sehr schleichend auf, sodass sich die Früherkennung einer solchen Pathologie sehr schwierig gestaltet.

Beispiel

Ein 34-jähriger Ingenieur und Hobby- Bergführer beklagt sich seit einem Jahr über inkonstante diffuse Nackenschmerzen, welche zum Teil in das Occiput und in die linke Schulterpartie ausstrahlen.
Drei Monate vor der Diagnosestellung bemerkt der Patient erstmals ein Taubheitsgefühl in den Fingern der linken Hand sowie ein brennendes Gefühl der gesamten linken Handfläche. In der Folge trat eine Verminderung der Feinmotorik der linken Hand auf mit gleichzeitig vermindertem Faustschluss.


Die neurologische Untersuchung ergab ein positives Lhermitte-Zeichen mit einem elektrisierenden Empfinden entlang der Wirbelsäule bei Kopfflexion. Es zeigten sich im weiteren erste Anzeichen eines tetrapyramidalen Syndroms mit verminderten Reflexen an den oberen Extremitäten sowie einer diskreten Spastizität an den unteren Extremitäten. Die Koordination der linken Hand war vermindert bei gleichzeitig beginnender Gangataxie.


Die Abklärung mittels MRI (Bild 1und 2) ergibt den Befund eines volumineusen intramedullären Tumors, der sich von C3 nach C6 erstreckt. An den Tumorpolen zeigt sich eine zystische Komponente. Der solide Anteil des Tumors nimmt das Kontrastmittel auf. Angesichts der Grösse der Läsion sowie der progredienten neurologischen Ausfälle muss dem Patienten ein chirurgischer Eingriff empfohlen werden. Das Ziel des operativen Eingriffs ist es, einerseits die Diagnose zu erzwingen, andererseits die Läsion so komplett wie möglich zu entfernen, um eine drohende Tetraplegie zu verhindern.

sagittales MRI
Bild 1: T2 gewichtetes sagittales MRI. Massive intramedulläre Raumforderung im zervikalen Rückenmark
MRI mit Kontrastmittel
Bild 2: T1 mit Kontrastmittel. Darstellung des soliden Anteils des Tumors in hellem Kontrast mit anliegenden zystischen Veränderungen an den Polen

Operation

Eine Operation im Rückenmark selbst muss sehr schonend durchgeführt werden, um eine definitive Verschlechterung des neurologischen Zustandbildes durch das Operationstrauma möglichst zu vermeiden.

Nach einer Laminoplastie wird das Rückenmark in der Mittellinie zwischen den Hintersträngen longitudinal eröffnet, um die absteigenden und aufsteigenden Nervenfasern nicht zu verletzen.
Das Rückenmark wird in gewissem Sinne wie ein Buch in der Mitte aufgeschlagen. Von nicht mehr wegzudenkender Qualitätssicherung während der Operation ist das elektrophysiologische Monitoring. Der im Operationssaal anwesende Neurologe misst online die Funktion der absteigenden und aufsteigenden Nervenpotenziale. Anhand dieser Angaben kann der Operateur seine mikrochirurgische Technik adaptieren. Dieses Teamwork erlaubt während der Operation eine prognostische Analyse des neurologischen Verlaufs und ermöglicht dem Neurochirurgen, sich relativ risikoarm an die Grenze des Tumors vorzutasten mit der Absicht, eine möglichst radikale Tumorentfernung zu erzwingen. Bei Veränderungen des neurologischen Signals wird der Ort der Dissektion des Tumors verändert oder eine Pause eingelegt, ein Cortisonstoss gegeben und eine Erhöhung des Blutdrucks provoziert, um die lokale Durchblutung zu verbessern.


Der bräunlich gefärbte Tumor wurde in seinem Innern durch einen Ultraschalldissektor zum Teil zertrümmert und aspiriert. Dies ermöglicht anschliessend, atraumatisch die Tumorkapsel aufzusuchen, indem der Tumor in sich zusammensinkt. Da es sich im beschriebenen Beispiel um ein Ependymom handelte, konnte eine klare Trennschicht innerhalb des Rückenmarks aufgefunden werden. Dies ermöglichte die komplette Resektion des benignen Tumors, was durch das postoperative MRI drei Monate nach der Operation bestätigt wurde.

Postoperativer Verlauf

Unmittelbar nach der Operation zeigte sich eine verstärkte Gangataxie, bedingt durch die Manipulation der RM-Hinterstränge. Die Feinmotorik der linken Hand verschlechterte sich vorübergehend ebenfalls. Der Patient konnte jedoch nach zwei Tagen schon selbständig Gehen bei unauffälliger Miktion und Defäkation. Nach einem einmonatigen Rehabilitationsaufenthalt zeigte der Patient wieder ein unauffälliges Gangbild mit abwesender Spastizität und normalisierter Feinmotorik der Hände.
Eine weitere Nachbehandlung bei kompletter Tumorentfernung des benignen Ependymoms musste nicht durchgeführt werden, und der Patient kann als geheilt erachtet werden. Auf Grund einer sehr seltenen Rezidivrate muss jedoch eine mehrjährige Nachkontrolle mittels MRI durchgeführt werden (Bild 3).

Kontroll-MRI
Bild 3: Kontroll-MRI nach drei Monaten. Das Rückenmark ist komplett entlastet, atrophisch, aber tumorfrei

Benigne Rückenmarktumore können heute dank moderner Technologie und Teamarbeit erfolgreich operiert werden, ohne dass ein nichtakzeptables Operations- Risiko besteht. Wichtig für das Therapieresultat ist eine Früherkennung der Pathologie; je kleiner der Tumor bei Diagnosestellung ist, desto besser ist die langfristige Prognose auf Grund eines verminderten Operationsrisikos. Die erste Therapieoption bei intramedullären Ependymomen oder Astrozytomen ist immer die chirurgische Reduktion des Tumorvolumens.

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